Was bedeutet Körperarbeit?

Eine große Zahl unterschiedlicher Disziplinen wird mit dem Begriff der Körperarbeit in Verbindung gebracht - Beispiele hierfür sind Yoga, Feldenkrais, sowie die von uns methodisch genutzten chinesischen Bewegungs- und Kampfkünste. Unser Begriff der Körperarbeit orientiert sich an grundlegenden Ideen, die in der chinesischen Bewegungs- und Kampfkunst Taijiquan zu finden sind: Bewegung erfolgt (mit nachlassendem Widerstand) von innen heraus, Stabilität entsteht und das Kontrollieren(-Wollen) der Umwelten kann abgebaut werden. So entsteht sukzessiv innere Sicherheit.

Körperliche Erfahrungen bilden für uns eine unverzichtbare Basis einer ganzheitlichen persönlichen Entwicklung. Körperarbeit und geistige Arbeit sind nicht voneinander zu trennen, das eine braucht das andere.

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Wenn auch begrifflich verwandt, so hat der Begriff von Körperarbeit doch wenig gemeinsam mit der oft geäußerten Vorstellung von Arbeit als - manchmal sogar sinnentleerte - Erfüllung von Aufgaben und kurzfristig zu erzielender Produktivität. Natürlich braucht es Ernsthaftigkeit und gerade am Anfang auch Disziplin, um regelmäßige Körperarbeit in Form von Training durchzuführen; im Mittelpunkt von Körperarbeit steht jedoch ein spielerisch suchendes Vorgehen nach dem Abbau von Überspannung und gleichzeitiger struktureller Stabilität. Eutonisches (von Eutonie = Wohlspannung) Agieren tritt an die Stelle von Energieverschwendung durch (manches Mal unbemerkte) Überlastung.

Es entsteht ein Raum für das Spüren von sich selbst und anderen.

Was bewirkt Körperarbeit?

Körperarbeit in Form ganzheitlicher Körperübungen kann die Veränderung von Haltung(en) und Bewegungsabläufen bewirken. Dies gilt sowohl im eigentlich körperlichen als auch im übertragenen Sinne der Worte. So beeinflusst Körperhaltung auch die eigene mentale Einstellung - nachhaltige Veränderung ist ohne Körper nicht erreichbar.

Ganzheitliche Körperübungen sind nicht nur ein Ausgleich zu geistiger (Über-)Forderung im Sinne der viel zitierten Work-Life-Balance. Ganzheitliche Körperübungen sprechen den Körper und den Geist gleichermaßen an. Sie sind geistige Arbeit ausgeführt über Bewegung - Körperarbeit ist geistige Arbeit auf körperlicher Ebene.

Über den Körper spüren wir uns, unsere Bedürfnisse und die in uns steckenden Möglichkeiten (unser Potential). Um diese Möglichkeiten zu erforschen und auszuschöpfen, reichen analytisches Denken und in seiner überzogenen Form „endloses Grübeln“ nicht – durch Körperarbeit können wir körperliche und geistige Haltungen klarer wahrnehmen und diese nachhaltig Schritt für Schritt verändern. In diesem Prozess lernen wir, durch Körperarbeit Verantwortung für uns und unser Handeln zu übernehmen. Dies ist Voraussetzung für einen „guten“ Kontakt mit unseren Umwelten.

Gelebte Körperarbeit

In der Körperarbeit ist ein ausgeprägter Wille zu immer mehr Leistung und fremd-bewerteter Perfektion wie auch die vorschnelle Bewertungen des eigenen Übens nicht hilfreich.* Auch Körperarbeit wird oft im Sinne einer reinen Leistungssteigerung betrieben, denn das entspricht unserem gewohnten Streben nach Kontrolle: Den Körper im Griff haben, ihn steuern, er soll funktionieren. Wenn wir angespannt sind, ist unsere Bewegungsausführung in der Regel mit hohem Tempo und mit viel Anstrengung verbunden - wenn es dann etwas schwieriger wird, ist unsere Antwort allzu oft: Tempo, Druck und Anstrengung erhöhen. Dabei verlieren wir die notwendige Gelassenheit und Fokussiertheit und kommen nur scheinbar voran.

Körperarbeit in unserem Verständnis uns Ansatz ist anders. Eingeschliffene (Bewegungs-)Muster sind nicht mit einem Mehr an willentlicher und körperlicher Anstrengung zu ändern – zumindest nicht nachhaltig. Im Gegenteil, es gilt ein zu viel an Anstrengung zu vermeiden, diese Idee sogar loszulassen und im Resultat „nur“ noch das Nötige zu tun. Dieses Loslassen baut nach und nach die Spannung ab, die vorher und zumeist unbemerkt gehalten wurde und reduziert den Energieaufwand, der erforderlich war, diese zu halten.

Am Beginn eines Prozesses steht die Wahrnehmung dessen, was (in mir) ist:
Wie stehe ich? Wie gehe ich? Wie fühle ich mich in meinem eigenen Körper? All diese Beobachtungen erfolgen mit Achtsamkeit und Wohlwollen für mich selbst - innere Stabilität beginnt zu wachsen.

Daraus entwickelt sich ein Bewusstsein für den eigenen Bewegungsraum und die (Körper-)Präsenz. Zunehmend erfolgt eine Beschäftigung mit den Umwelten bei gleichzeitigem „im Auge behalten“ meiner selbst. Wir öffnen unseren Fokus sowohl nach innen als auch nach außen – das erlaubt es uns, „gleichzeitig“ im Kontakt mit uns selbst und den Umwelten zu sein.

Diese Vorgehensweise erfordert Disziplin und Geduld - vor allem mit mir selbst -, nicht zuletzt auch in Form steten Ausprobierens und des Aushaltens von notwendigen Fehlern sowie Scheiterns. Dies ist in vielen Fällen anfangs sogar durchaus anstrengend, denn es ist ein Paradox, sich anzustrengen, sich weniger anzustrengen.**

Wie oben beschrieben, beinhaltet Körperarbeit kein in Muskulatur und Geist angespanntes Durchhalten-Müssen in permanenter Selbstkontrolle, sondern das Spielerische. Sie ermöglicht eine auf körperliche Wahrnehmung beruhende Gelassenheit als eine Art wohlwollende Geduld mit uns selbst. Dies ist etwas, was uns heute vielleicht fremd erscheint, aber es ist in uns verankert – und somit positiv reaktivierbar***.


* Das ist durchaus vergleichbar zu Überforderung und Überarbeitung in der Arbeitswelt, die letztendlich zu Burn-Out führen. Systemiker sagen dazu „Mehr vom selben hilft nicht“.
** In den klassischen Texten des Taijiquan heißt es: „ins Verlieren investieren“.
*** Mein Körper - das bin doch ich …, Vortrag Gerald Hüther, gehalten auf der Jahrestagung der Milton H.Erickson Gesellschaft, 2010, erschienen als CD/DVD bei Auditorium Netzwerk sowie Was wir sind und was wir sein müssten, Gerald Hüther, erschienen bei S. Fischer